Mittwoch, September 11, 2013

The Futurological Digress

Man nehme einen festen Kern aus Lem, umgebe ihn großzügig mit Robinium und löse das Ganze in Averyn und Boschol auf. Die Wirkung dieser Mixtur ist eine Achterbahnfahrt, aus der man zwar nicht grün im Gesicht heraus kommt, doch auf profunde Art gerädert, vielleicht sogar geläutert. Ari Folman adaptiert Lems Drogen-Dystopie Der futurologische Kongreß zu einem satirischen Spiegel des heutigen Kinos, in dem die Vision gänzlich computergenerierter Schauspieler nicht mehr allzu fern scheint. In Zeiten, in denen Steven Spielberg angesichts der "Blockbusterisierung" des Kinos vor einer "Implosion" des Filmgeschäfts warnt kommt Ari Folmans Film gerade zur rechten Zeit.

Doch Ari Folman spielt nicht etwa den Hofnarren in einer ansonsten bloß auf Effekt und Kommerz zielenden Filmwelt. Er konfrontiert vielmehr auch den Zuschauer mit der Frage, für welche Illusion er die Realität einzutauschen bereit wäre bzw. welche Illusion die Realität bereits verdeckt. Daneben verknüpft er geschickt die verschiedenen Erzählebenen durch das Leitmotiv Fliegen, vom Papierdrachen, über den ersten Wright-Gleiter (der im Jahr des ersten Western abhob), den ausgedienten DC-9-Hangar bis zum modernen Passierflugzeug und darüber hinaus bizarre Traumflüge in der Cartoonwelt. Man ist versucht, die Botschaft: "Bitte behalten Sie bei allen Flügen der Fantasie die Füße auf dem festen Grund der Realität." herauszuhören. Doch damit ist die Bildsprache und Metaphorik des Films sicher längst noch nicht ausgeschöpft.

Robin Wright als Robin Wright ist keine schauspielerische Tautologie, sondern eine plausible und konsequente Besetzung  für einen Film, der als Vexierbild zwischen aberwitziger Zeichentrickfiktion und möglichst realistisch gehaltener Rahmengeschichte funktioniert. Auch wenn The Congress letztlich keine werkgetreue Verfilmung von Lems Buch ist, zeigt er eindrucksvoll, wie visionär der polnische Autor war, ohne es je auf konkrete Zukunftsvorhersagen abgezielt zu haben. Folmans Film ist großes, unkonventionelles Kino, das wirklich Stoff zum Nachdenken bietet.

A Tale of Two Gravities

Inside Out, pardon Upside Down ist so voller atemberaubender visueller Opulenz (die jeder bekannten Physik spottet), dass man bereit ist, darüber hinwegzusehen, dass der Film die emotionale Tiefgründigkeit einer Mädchenzimmer-Tapete hat.

P.S. Ja, ich gräme mich, diese eindimensionale Handlung nicht in 3D gesehen zu haben. So komme ich nur auf durchschnittlich 1,5D.

Nephelokokkygia

Elysium ist der zweite Film des südafrikanischen Regisseurs Neill Blomkamp, der 2009 mit District 9 einen frischen Wind ins Science Fiction-Genre brachte. Sein Gespür dafür, das dreckige Ghettoleben auf die Leinwand zu bringen und mehr als deutliche Parallelen zum Elend realer Flüchtlinge zu zeichnen, verlässt ihn auch nicht in seinem zweiten, mit Hollywood-Budget gedrehten Film. Nur schwenkt er die Perspektive von Südafrika nach Mexiko. Der Kontrast zwischen der ärmlichen Bevölkerung und der reichen Elite in der Space Colony in der Erdumlaufbahn könnte schärfer nicht gezeichnet sein. Dem scheinbar unentrinnbaren Elend auf der Erde steht die Verheißung (fast) ewiger Jugend und Gesundheit (und extravagantem Ennui) gegenüber. Der Med-Pod 3000 ist allerdings eine dick aufgetragene Machina ex Deo.

Mit Max (Matt Damon) als Rächer der Enterbten kommt ein klassischer Underdog/Heilsbringer in ein unterhaltsames Science Fiction-Actionspektakel, das den dramaturgischen Gesetzen des Genres samt vielfach stereotyper Charakterzeichnungen gehorcht. Während Blomkamp die Handlung in District 9 ebenso konsequent wie unkonventionell entwickeln konnte, verlässt er sich in Elysium allzu sehr auf Hau-Drauf-Action und forciert die Handlung über einige logische Lücken hinweg.So bleibt Blomkamps Film ein kompetenter, visuell oft brillanter, aber letztlich nicht überragender Science Fiction-Reißer.

Ärgerlich daran ist, dass viele Themen und Handlungsstränge nur kurz angedeutet wurden und eine Schauspielerin wie Jodie Foster letztlich nicht genug Raum zur Entfaltung erhält und damit eindimensional bleibt. Vielleicht hätte es dem Film gut getan, die Rollen von Matt Damon und Sharlto Copley zu vertauschen. Copley hat als Wikus Van De Merve einen überzeugenden Antihelden gegeben. Für Matt Damon wäre es vermutlich spannender gewesen, einen ausgetickten Söldner zu spielen, statt einen Mad Max-Verschnitt.

(Ich danke unserer Gastseherin Esmeralda Beate Skwiskiboski für essenzielle Beiträge zu dieser Kritik.)