Sonntag, September 22, 2019

Mama KI

I am Mother ist der erstaunliche Erstlingsfilm des australischen Regisseurs Grant Sputore, der auch für die zugrundeliegende Geschichte verantwortlich zeichnet. Ihm ist ein atmosphärisch dichtes Science-Fiction-Kammerspiel voller überraschender Wendungen gelungen, das an Ex Machina denken lässt. Doch die robotische Mutter-Tochter-Geschichte in einer postapokylptischen Welt erhält eine zusätzliche transzendente Note, weil sich die Mutter eben nicht nur auf den (genial durch einen Menschen animierten) Roboter beschränkt, sondern wie eine omnipräsente Urmutter einer neuen, perfektionierten Menschheit agiert.

Mutterliebe und Maschinenlogik geraten in Konflikt, als eine verwundete Frau aus der Außenwelt in die hermetische geschützte Welt von Robotermutter und Menschentochter eindringt (und mit ihrer Marien-Verehrung eine religiöse Dimension hineinbringt). Die Geschichte erhält ihre Spannung nicht aus explosiver Action, sondern daraus, dass die Ratio, nach der die Robotermutter handelt, nach und nach enthüllt wird und sich die individuelle Wärme, die sie zu Beginn ausstrahlt, in unmenschlich konsequente Kälte wandelt.

Sonntag, September 08, 2019

Die Liebe zu einer Orange

Ein Jahr nach dem Jungen Theater im Zwinger in Heidelberg bringt das Nationaltheater Mannheim seine eigene Version von Jewgenij Samjatins Dystopie WIR von 1920 auf seine Werkbühne. Die Besetzung ist auf zwei reduziert, dafür ist das Bühnenbild noch wandlungsfähiger als in der Heidelberger Inszenierung. In Mannheim zieht Rocco Brück als D-503 die meiste Aufmerksamkeit auf sich, während Sarah Zastrau neben ihrer Rolle als I-330 weitere Nebengestalten verkörpert. Der eigenwilligste Einfall ist sicher, dass eine Orange die Rolle der O-90 übernimmt. Eine Anspielung auf Prokofjew?

Die Mannheimer Inszenierung ist beim Bühnenbild und den Kostümen deutlich weniger stilisiert als die des Heidelberger Jugendtheaters und wirkt beispielsweise durch das projizierte Laptop-Tagebuch aktueller. Aber beide Inszenierungen belegen, dass die Zeit von Samjatins visionären Text mittlerweile gekommen ist. Das ist nicht zwingend begrüßenswert, aber die Gegenwart ist halt manchmal doch die Zukunft der Vergangenheit